Donnerstag, 24. Mai 2012

Frühsport


Yoga hier in Indien ist definitiv nicht meine Sportart.

Dies liegt aber nach den letzteren Erfahrungen nicht an dem Sport selber sondern an der frühen Uhrzeit zu der Yoga hier in Kundapur praktiziert wird und zu der ich nicht aufstehe. In seltenen Ausnahmen kann aber sogar ich mich zum Aufstehen breit schlagen lassen, so wie an jenem Wochenende. Der auf einem Berg in der Nähe von Udupi gelegene Tempel eignet sich mit seiner riesen Halle ideal zum Meditieren und Yoga machen. Dort am Freitag angekommen, waren Anna Lena, Caro und ich so erstmal sehr beeindruckt von der Anlage, die unglaublich ruhig und spirituell wirkte. Die Inder, die mit uns an diesem Kurs vom Verein des in Kundapura ansässigen Yoga-Clubs teilnahmen waren alle schon in der Halle und knüpften entweder Blumen zur Girlanden (Frauen) oder unterhielten sich (Männer). Kurz darauf, nachdem die Frauen mit den Girlanden fertig waren holten sie ihre Bücher heraus und begannen verschiedene Shiva gewidmete Mantras (Lieder) zu singen, die wie ein Call-and-response Gospel aufgebaut waren. In Indien haben Gebetslieder jedoch meist einen anderen Rhythmus. Es wird mit zwei kleinen Becken im Dreier-Takt aufeinander geschlagen.
Ausblick vom Berg
Dies gibt der Musik eine ganz andere Dynamik. Des weiteren gibt es meiner Meinung meist keine klaren Töne, sondern ist vielmehr das Hoch- oder Runterziehen des Tones wichtig, wobei der Anfangston nicht festgelegt ist. Von daher hört sich indischer Gesang in unseren Ohren meist schief an, was die Inder selbst aber nie so empfinden würden. Bei Mantras erzeugt diese Art Gesang eine unglaublich spirituelle Atmosphäre, in der man vollkommen versinken kann. Wir alle drei haben währenddessen versucht zu meditieren, was uns zumindest für eine halbe Stunde auch gelungen ist. Trotz der Eintönigkeit der Lieder wird es nicht langweilig, da uns diese Musik immer noch fremd und nicht vertraut ist.
Nach einigen Reden auf Kannada, die unter anderem eine wahrscheinlich sehr interessante Erklärung der eigentlichen Bedeutung Yogas für unseren Körper und unsere Seele beinhaltet hätten sowie drei Runden um den Tempel laufen, fielen wir drei totmuede ins Bett (natürlich auf den Boden!).

Glücklicherweise wurde nicht zu viel Zeit verschwendet und das Programm ging am nächsten Tag schon um 5.30 Uhr weiter. Warum der Yoga Lehrer bereits um 4.30 wach neben uns stand ist mir allerdings nicht klar, ich werde wohl nie ein Morgenmensch werden. Yoga in der Früh ist auf jeden Fall etwas wundervolles, man entspannt und trainiert zugleich alle Körperteile und hat deshalb auch nicht das Gefühl einen Marathon gelaufen zu sein. Und wenn man mit 30 weiteren Indern beim surya namaskara (Sonnengruß) neben sich durch die Säulen der Halle die Sonne aufgehen sieht dann fühlt man wie das Gefühl der Zugehörigkeit langsam die Beine hoch kriecht und sich überall ausbreitet. Die indische Mentalität scheint sich einem auf einmal zu erschließen... 
 

Theoretisch. Waehre da nicht die viel, viel, viel zu frühe Uhrzeit, wegen der ich auch während Yoga noch halb schlafe...
Trotzdem war es eine sehr tolle indische Erfahrung, die ich jedem ans Herz legen würde, denn sie kann erleuchtend sein. :)

Dienstag, 1. Mai 2012

Der Busmitfahrer – Eindrücke einer Konsumentin und Bewunderin - ein Essay


Der Busmitfahrer. Irgendwie ist er ein Held, ein Übermensch, wie er von Freiwilligen schon in sentimentalen Momenten genannt wurde. Er verkörpert eine Berufsform, die es so in Deutschland überhaupt nicht mehr gibt, da sie bereits durch Fahrkartenautomaten und Abstempelkasten ersetzt wurde. Genau diese Tatsachen übt jedoch eine unfassbare Faszination auf die Leute aus, die sich seine Konsumenten nennen dürfen. Leute wie mich.
laessig in der Tuer








Als ich ihn zum ersten Mal vor mir stehen sah, mit wehendem Schnauzer, so elegant im Türrahmen lehnend, wusste ich sofort, dass es um mich geschehen war. Wie durch Caro so treffend erkannt, lässt der Busmitfahrer (hochdeutsch auch “der Schaffner”) unsere Herzen höher schlagen, da er uns den im Alltag verlorenen Reiz des Abenteuers wiedergibt. Durch seine lässige Weise, wie er sich selbst im voll gestopften Bus durch dessen Gang („Tigget, tigget, tigget“) schiebt jeden einzeln mit einer Selbstverständlich professionell bedient, bei der sich manche anderen Berufszweige ein Vorbild nehmen könnten. Stets weiß er, wo der Fahrgast eingestiegen ist und kann ihm sein Ticket schnell und zuverlässig ausstellen. Ihm bleibt nichts im Verborgenen, er weiß genau wie er selbst mit schwierigen Fällen wie Verständigung auf nicht sprachlicher Ebene oder logistischen Fragestellungen (z.B. beim Einladen des Busses mit fragilen Gegenständen) umgehen muss. Meisterlich müssen seine Fähigkeiten auch im Erkennen verschiedener Aussprachen eingeschätzt werden. Vom zahnlosen Greis bis zum Ausländer erkennt er jeden genannten Ort nach spätestens fünf mal nachfragen und bleibt trotz teils aussichtsloser Lage stets freundlich. Emotionalität gehört, wie bei den meisten Indern, nicht zu einer seiner Eigenschaften jedoch lässt er sich des Öfteren doch zu einem breiten Lachen hinreißen. Ganz besonders gute Chancen auf solch ein Geschenk des Himmels hat man im Allgemeinen, wenn ein Ausländer versucht sein Ticket auf der einheimischen Sprache zu bestellen. Dies wird meist von den, um den Busmitfahrer und den Ausländer, herumsitztenden Indern mit sofortigen Fragen quittiert, ob man denn jene Sprache beherrsche und bietet einen wundervollen Einstieg in philosophische Diskussionen, sofern man sich ausdrücken kann. Da dies allerdings nur in den wenigsten Fällen so ist, verschwinden zur Enttäuschung des bewundernden Ausländers des Lachen vom Gesicht des Busmitfahrers, dessen Schnauzer durch den Fahrtwind eine originelle neue Form bekommen hat, und er wendet sich den anderen wartenden Fahrgästen zu.
Auch in absoluten Extremfällen bleibt der Busmitfahrer stets pflichtbewusst und weiß wie er reagieren muss. Aufmüpfige Fahrgäste behandelt er mit Autorität auf der einen und Milde auf der anderen Seite. Falls es Beschwerden über den Fahrstil des Busfahrers oder die Wartedauer an einer Haltestelle gibt wird der Konflikt zuerst auf Gesprächsebene versucht zu lösen, wenn dies allerdings nicht fruchtet dann wird der Gast auch gelegentlich zu einer körperlichen Lösung des Problems nach draußen gebeten, denn Beschwerden gegen des Busfahrer sind immer auch Beschwerden gegen des Busmitfahrer. Nachdem sich beide Parteien nach ein paar Minuten intensiven Hahnenkampfes geeinigt haben steigt jeder wieder in den Bus und es kann weiter gehen.

Auf der Grundlage monatelanger Erfahrungen haben sich vier verschiedene Typen Busmitfahrer herauskristallisiert:
  1. Der Grummler:
    Der Grummler
    Diese Art vertritt generell den grantigen, harten Typ Busmitfahrer. Er könnte auch als Macho bezeichnet werden, da er mit einem harten grimmigen Gesichtsausdruck das Reiseziel des Busses herausschreit und, während er vor dem Bus mit geschwellter Brust und angeberischen Schritt versucht Mitfahrer anzuwerben. Nicht selten ist seine Stimme geprägt von der harten Arbeitswelt, in der er Tagein Tagaus schuftet, was sich in einem rauen, borstigen fast schon prolligen Unterton niederschlägt. Und doch ist dieser Typ in seinem Inneren auch zu Gefühlen, sowie zu allerlei Schabernack bereit, die bisweilen ein wenig ruppig ausfallen können.

  2. Der Korrekte: Legt doch der Grummler schon sehr viel Wert auf sein Image als Macho kann dies der Korrekte noch überbieten. Er erledigt stets auf höchst professionelle Weise seine Arbeit, geht von Fahrgast zu Fahrgast um mit einer unfassbaren Effizienz in kürzester Zeit alle Tickets verkauft zu haben. Er achtet gewissenhaft auf ein gepflegtes Aeusseres, während er nicht selten durch herausragende Englischkenntnisse glänzt. Im Gegensatz zu dem Kumpel lässt er sich weder oft auf eine Unterhaltung ein noch bezaubert er Bewunderer mit einem Lachen. Ihm werden potenziell die meisten Chancen auf eine Beförderung zum Oberbusmitfahrer eingeräumt (-> Oberbusmitfahrer: Er kontrolliert, ob jeder Fahrgast ein Ticket hat anhand der verkauften Tickets des Busmitfahrers).

  3. Der Kumpel:
    Der Kumpel
    Dies ist die nach Ansicht der befragten Freiwilligen der beliebteste Typ. Er verkörpert die wahr gewordene Sehnsucht nach Freundschaft zwischen Fahrgast und Busmitfahrer, da er mit seinem Charme und seiner Freundlichkeit jeden von sich überzeugt. Durch das scheinbar angeborene Lächeln besticht er zudem mit seinem Adonis-gleichem Körper, den er elegant selbst durch große Massen Fahrgäste hindurch windet (kurze Anmerkung: Es gibt natürlich auch fuelligere Kumpel, die allerdings letzteres Merkmal weniger repräsentieren.). Nicht selten weiß er nach mehrmaligen Mitfahren eines Gastes sofort, wo er hin möchte, was ihm weitere Bewunderer einbringt. Er strahlt trotz langer Arbeitszeiten eine Freude aus, die sich auf den gesamten Bus uebertraegt und eine zutiefst entspannende, positive Atmosphäre kreiert.

  4. Verrueckt?
    Der Verrückte: Eine Ausnahmeerscheinung. Genau festzulegen ist diese Kategorie nicht. Festzuhalten ist aber, dass der Verrückte alles und nichts sein kann. Vom singenden, mit Schnauzer und Hüften wackelnden Party-Busmitfahrer bis zum betrunkenen Grummler ist alles möglich. Er überrascht durch Flexibilität in der Einhaltung der Regeln, wie z.B. einem kleinen Preisnachlass. Akrobatische Meisterleistungen werden mit einer Regelmaessigkeit vorgeführt, so dass jeder Mitfahrer sich auf eine extravagante Show einstellen kann. Während der Fahrt aus dem Bus herausspringen und an der hinteren Tür wieder hinein gehört natürlich nur zum Standardprogramm und wird durch Tanzeinlagen zu einer betoehrend Show erweitert. Angeheizt wird diese Stimmung noch durch die eindringlich, intensive indische Musik, die seine Bewegungen zum Leuchten bringt und selbst den grantigsten Opa zum bewundernden Staunen. Wer wirklich keine Lust auf diese Art Entertainment hat ist selbst Schuld und muss aus dem Fenster schauen oder Rikscha fahren.

Ausnahmen: Bestätigen im Normalfall die Regel. Jedoch ist mir bis jetzt noch kein unhöflicher Busmitfahrer begegnet. Selbst in Touristengegenden würde dieser ehrenvolle Beruf selten eine falsche Aussage zulassen, die für sie selbst auch keinen direkten Nutzen bringen würde.

Dem aufmerksamen Leser ist hoffentlich nicht meine persönliche Betroffenheit von diesem, in dem Text dargestellten Phänomens verborgen geblieben. Nach nun schon 8 ½ Monaten hier in Indien bin ich nicht nur in diesen wundervollen Beruf verliebt, sondern auch sehr traurig darüber nur noch 3 Monate miterleben zu dürfen wie großartig dieses Land sein kann. Nach allem was bisher passiert ist und wie viele Busmitfahrer ich getroffen habe, kann ich mir gar nicht vorstellen wieder meine Tickets an langweiligen Fahrkartenautomaten zu kaufen. Nachts werde ich sicher noch lange davon träumen, wie der Busmitfahrer aus seinem Bus lehnend schreit: „Kundapura, Kundapura, Kundapuraaaaaa!!“
Einen schönen Frühling euch, bei uns ist es ja schon heißester Sommer