Der Busmitfahrer. Irgendwie ist er ein
Held, ein Übermensch, wie er von Freiwilligen schon in sentimentalen
Momenten genannt wurde. Er verkörpert eine Berufsform, die es so in
Deutschland überhaupt nicht mehr gibt, da sie bereits durch
Fahrkartenautomaten und Abstempelkasten ersetzt wurde. Genau diese
Tatsachen übt jedoch eine unfassbare Faszination auf die Leute aus,
die sich seine Konsumenten nennen dürfen. Leute wie mich.
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laessig in der Tuer |
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Als ich ihn zum ersten Mal vor mir
stehen sah, mit wehendem Schnauzer, so elegant im Türrahmen lehnend,
wusste ich sofort, dass es um mich geschehen war. Wie durch Caro so
treffend erkannt, lässt der Busmitfahrer (hochdeutsch auch “der
Schaffner”) unsere Herzen höher schlagen, da er uns den im Alltag
verlorenen Reiz des Abenteuers wiedergibt. Durch seine lässige
Weise, wie er sich selbst im voll gestopften Bus durch dessen Gang
(„Tigget, tigget, tigget“) schiebt jeden einzeln mit einer
Selbstverständlich professionell bedient, bei der sich manche
anderen Berufszweige ein Vorbild nehmen könnten. Stets weiß er, wo
der Fahrgast eingestiegen ist und kann ihm sein Ticket schnell und
zuverlässig ausstellen. Ihm bleibt nichts im Verborgenen, er weiß
genau wie er selbst mit schwierigen Fällen wie Verständigung auf
nicht sprachlicher Ebene oder logistischen Fragestellungen (z.B. beim
Einladen des Busses mit fragilen Gegenständen) umgehen muss.
Meisterlich müssen seine Fähigkeiten auch im Erkennen verschiedener
Aussprachen eingeschätzt werden. Vom zahnlosen Greis bis zum
Ausländer erkennt er jeden genannten Ort nach spätestens fünf mal
nachfragen und bleibt trotz teils aussichtsloser Lage stets
freundlich. Emotionalität gehört, wie bei den meisten Indern, nicht
zu einer seiner Eigenschaften jedoch lässt er sich des Öfteren doch
zu einem breiten Lachen hinreißen. Ganz besonders gute Chancen auf
solch ein Geschenk des Himmels hat man im Allgemeinen, wenn ein
Ausländer versucht sein Ticket auf der einheimischen Sprache zu
bestellen. Dies wird meist von den, um den Busmitfahrer und den
Ausländer, herumsitztenden Indern mit sofortigen Fragen quittiert,
ob man denn jene Sprache beherrsche und bietet einen wundervollen
Einstieg in philosophische Diskussionen, sofern man sich ausdrücken
kann. Da dies allerdings nur in den wenigsten Fällen so ist,
verschwinden zur Enttäuschung des bewundernden Ausländers des
Lachen vom Gesicht des Busmitfahrers, dessen Schnauzer durch den
Fahrtwind eine originelle neue Form bekommen hat, und er wendet sich
den anderen wartenden Fahrgästen zu.
Auch in absoluten Extremfällen bleibt
der Busmitfahrer stets pflichtbewusst und weiß wie er reagieren
muss. Aufmüpfige Fahrgäste behandelt er mit Autorität auf der
einen und Milde auf der anderen Seite. Falls es Beschwerden über den
Fahrstil des Busfahrers oder die Wartedauer an einer Haltestelle gibt
wird der Konflikt zuerst auf Gesprächsebene versucht zu lösen, wenn
dies allerdings nicht fruchtet dann wird der Gast auch gelegentlich
zu einer körperlichen Lösung des Problems nach draußen gebeten,
denn Beschwerden gegen des Busfahrer sind immer auch Beschwerden
gegen des Busmitfahrer. Nachdem sich beide Parteien nach ein paar
Minuten intensiven Hahnenkampfes geeinigt haben steigt jeder wieder
in den Bus und es kann weiter gehen.
Auf der Grundlage monatelanger
Erfahrungen haben sich vier verschiedene Typen Busmitfahrer
herauskristallisiert:
Der Grummler:
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Der Grummler |
Diese Art vertritt
generell den grantigen, harten Typ Busmitfahrer. Er könnte auch als
Macho bezeichnet werden, da er mit einem harten grimmigen
Gesichtsausdruck das Reiseziel des Busses herausschreit und, während
er vor dem Bus mit geschwellter Brust und angeberischen Schritt
versucht Mitfahrer anzuwerben. Nicht selten ist seine Stimme geprägt
von der harten Arbeitswelt, in der er Tagein Tagaus schuftet, was
sich in einem rauen, borstigen fast schon prolligen Unterton
niederschlägt. Und doch ist dieser Typ in seinem Inneren auch zu
Gefühlen, sowie zu allerlei Schabernack bereit, die bisweilen ein
wenig ruppig ausfallen können.
Der Korrekte: Legt doch der
Grummler schon sehr viel Wert auf sein Image als Macho kann dies
der Korrekte noch überbieten. Er erledigt stets auf höchst
professionelle Weise seine Arbeit, geht von Fahrgast zu Fahrgast um
mit einer unfassbaren Effizienz in kürzester Zeit alle Tickets
verkauft zu haben. Er achtet gewissenhaft auf ein gepflegtes
Aeusseres, während er nicht selten durch herausragende
Englischkenntnisse glänzt. Im Gegensatz zu dem Kumpel lässt
er sich weder oft auf eine Unterhaltung ein noch bezaubert er
Bewunderer mit einem Lachen. Ihm werden potenziell die meisten
Chancen auf eine Beförderung zum Oberbusmitfahrer eingeräumt (->
Oberbusmitfahrer: Er
kontrolliert, ob jeder Fahrgast ein Ticket hat anhand der verkauften
Tickets des Busmitfahrers).
Der
Kumpel:
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Der Kumpel |
Dies ist die nach Ansicht der befragten Freiwilligen der
beliebteste Typ. Er verkörpert die wahr gewordene Sehnsucht nach
Freundschaft zwischen Fahrgast und Busmitfahrer, da er mit seinem
Charme und seiner Freundlichkeit jeden von sich überzeugt. Durch
das scheinbar angeborene Lächeln besticht er zudem mit seinem
Adonis-gleichem Körper, den er elegant selbst durch große Massen
Fahrgäste hindurch windet (kurze Anmerkung: Es gibt natürlich auch
fuelligere Kumpel, die
allerdings letzteres Merkmal weniger repräsentieren.). Nicht selten
weiß er nach mehrmaligen Mitfahren eines Gastes sofort, wo er hin
möchte, was ihm weitere Bewunderer einbringt. Er strahlt trotz
langer Arbeitszeiten eine Freude aus, die sich auf den gesamten Bus
uebertraegt und eine zutiefst entspannende, positive Atmosphäre
kreiert.
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Verrueckt? |
Der Verrückte:
Eine Ausnahmeerscheinung. Genau festzulegen ist diese Kategorie
nicht. Festzuhalten ist aber, dass der Verrückte alles und
nichts sein kann. Vom singenden, mit Schnauzer und Hüften
wackelnden Party-Busmitfahrer bis zum betrunkenen Grummler
ist alles möglich. Er überrascht durch Flexibilität in der
Einhaltung der Regeln, wie z.B. einem kleinen Preisnachlass.
Akrobatische Meisterleistungen werden mit einer Regelmaessigkeit
vorgeführt, so dass jeder Mitfahrer sich auf eine extravagante Show
einstellen kann. Während der Fahrt aus dem Bus herausspringen und
an der hinteren Tür wieder hinein gehört natürlich nur zum
Standardprogramm und wird durch Tanzeinlagen zu einer betoehrend
Show erweitert. Angeheizt wird diese Stimmung noch durch die
eindringlich, intensive indische Musik, die seine Bewegungen zum
Leuchten bringt und selbst den grantigsten Opa zum bewundernden
Staunen. Wer wirklich keine Lust auf diese Art Entertainment hat ist
selbst Schuld und muss aus dem Fenster schauen oder Rikscha fahren.
Ausnahmen:
Bestätigen im Normalfall die Regel. Jedoch ist mir bis jetzt noch
kein unhöflicher Busmitfahrer begegnet. Selbst in Touristengegenden
würde dieser ehrenvolle Beruf selten eine falsche Aussage zulassen,
die für sie selbst auch keinen direkten Nutzen bringen würde.
Dem aufmerksamen
Leser ist hoffentlich nicht meine persönliche Betroffenheit von
diesem, in dem Text dargestellten Phänomens verborgen geblieben.
Nach nun schon 8 ½ Monaten hier in Indien bin ich nicht nur in
diesen wundervollen Beruf verliebt, sondern auch sehr traurig darüber
nur noch 3 Monate miterleben zu dürfen wie großartig dieses Land
sein kann. Nach allem was bisher passiert ist und wie viele
Busmitfahrer ich getroffen habe, kann ich mir gar nicht vorstellen
wieder meine Tickets an langweiligen Fahrkartenautomaten zu kaufen.
Nachts werde ich sicher noch lange davon träumen, wie der
Busmitfahrer aus seinem Bus lehnend schreit: „Kundapura, Kundapura,
Kundapuraaaaaa!!“
Einen schönen
Frühling euch, bei uns ist es ja schon heißester Sommer